Ich mach die Tür
auf, das helle Licht im Vorraum. Die Teppichbodenstufen, ein bißchen abgetreten
und abgewetzt zur Mitte hin. So ein geflochtenes Zierseil ist die Wand entlang
angebracht, ein wenig durchhängend – bei solchen Dingern weiß man nie, soll man
sich an ihnen doch einmal festhalten wie an einem Stiegengeländer oder sie am
besten gar nicht berühren.
Der gelbe durch das gerillte Glas der Küchentür brechende
Lichtschein. Ich drück die Schnalle. Maria sitzt da auf einem Stuhl, das Kind
am Schoß.
Das Kind ist gerade noch mit gespreizten Beinen
auf ihr gesessen wie auf einem Pferdchen, sie haben sich angeschaut, sich
miteinander beschäftigt. Nun aber zerrt das Kind Maria an den Armen, am
Leiberl, zieht sich hoch, kniet einen Moment auf ihren Schenkeln und wendet
sich flink um, lehnt sich mit dem Rücken an die Mutter, schmiegt sich an diese
und betrachtet mich. Das weiche braune Haar des Kindes, einen Schnuller hats im
Mund, ein blauer Elefant ist auf diesem vorn drauf, der frontale Blick des
Kindes, braune Augen hat es, etwas hellere als seine Mutter, das Weiß seiner
Augäpfel ist so ganz besonders weiß, wie es nur Kinder haben (so weiß wie die
weißen großen von der Sonne angestrahlten Quellwolken am Sommerhimmel manchmal
sind), die Ärmchen, das gelbe Leiberl, das es trägt, die dünnen Beinchen, die
aus dem Windelhöschen schauen. Es ist kühl im Raum, das Fenster offen.
Was für ein schönes Gesicht so ein Kind hat. Ist
sie schon wieder müde? frag ich, vor den beiden stehend. Maria lächelt: Ja.
Eigenartiges Lächeln, wo lernen Mütter das? Wie Mona Lisa und eine Madonna,
aber geschäftig. Für mich schaut das Kind ganz und gar nicht müde aus, ich hab
nur gefragt, weil Maria früher gesagt hat, daß es so viel schläft. Das Kind hat
den Blick unverwandt auf mich gerichtet, gerade daß es manchmal zwinkert; der
Schnuller scheint ihm als so eine Art Versteck zu dienen, als wenn es sich
tatsächlich dahinter verbergen könnte. Was für eine scheinbar sichere Welt, im
Rücken die fürs Kind große, starke, ja allmächtige und trotzdem weiche Mutter
und vorn der Schnullerwall, der es neben dem vermeintlichen Schutz auch noch
beruhigt, weil es ihn spürt und weil es daran saugen kann.
Maria schnuppert ein wenig in der Luft, ihre
Nasenflügel beben ganz leicht. Sie lächelt mir nun kurz entschuldigend zu… und
außerdem, sagt sie dann, hat sie, glaub ich … Tut mir leid, grad wenn … Maria
führt denn Satz nicht zu Ende, greift dem Kind unter die Ärmchen, hebt es hoch,
riecht an der Windel, und zwar genau dort, wo der Gummizug die Windel an einem
Beinchen abschließt, das Licht der Küchenlampe glänzt auf ihrer Gesichtshaut.
Ihr kleiner Busen, stillt sie nicht?, und wenn doch, wie klein muß er erst
sein, wenn sie nicht stillt. Das Kind läßt mich auch während dieser Prüfung
nicht aus den Augen. Es stinkt, ergibt die Untersuchung. Mit einem leicht
animierend klingenden Natürlich hat sie … steht Maria nun auf.
Sie legt das Mädchen auf die Eckbank, rücklings,
spreizt ihm die Beine. Das Kind hat einen gleichgültigen, ja routinierten
Ausdruck im Gesicht; es hat also schon gelernt, diese Prozedur ohne Gegenwehr
auszuhalten, und wohl auch, daß ihm deren Ergebnis angenehm sein wird. Marias
straffer Rücken beim Vorbeugen, die hängenden kleinen Brüste, die Bewegungen
ihrer Armmuskeln, während sie hantiert. Rasch reißen ihre Hände die zwei
Verschlußklebebänder von der Plastikhaut der Windel, zweimal das eilige
Geräusch, das dabei entsteht, dann wird die Windel auseinandergefaltet. Eine
satte Wurst wird freigelegt, plus etwas weiche Kacke, alles ein bißchen
verschmiert. Mit Schiffe vollgesogen ist die Windelwatte auch schon.
Was für eine extreme Welt, man ist kaum bei der
Tür herein, und schon wird einem die ganze Kacke präsentiert.
Ich werde gebeten, einen Moment achtzugeben, daß
das Kind nicht hinunterfällt. Marias Mund beim Sprechen; ihr Blick. Schön
liegenbleiben, Carina. Maria eilt hinaus.
So heißt das Kind also. Es starrt mit seinen
großen Augen zu mir hoch, der Schnuller, ab und zu saugts ein wenig daran; sein
rundes Bäuchchen; sein kleiner Arsch und sein Geschlechtsteil voller Kacke;
seine kleinen runden Knie, seine winzigen, starken Füßchen. Plötzlich grinst
es, ohne den Blick von mir zu wenden, und biegt das Kreuz durch. Sein Hintern
hebt sich, es will sich wohl umdrehen. Nicht …, sage ich, greife nach seinem
Knie, halte das Kind zurück; wie weich sein Knie ist, wie zart die Haut. Das
Kind lacht nicht mehr, starrt mich wieder an. Der Babykacke- und Pisseduft
dringt nun erst so recht zu mir hoch. Die kühle Luft vom Fenster. Schritte. Da
kommt die Mama schon, hör ich mich sagen. Habe ich diesen Satz jemals zuvor in
meinem Leben gesagt?
Marias Schatten über uns. Sie legt etwas am
Tisch ab, ich schau auf, eine Stofftasche ists, sie öffnet deren Lasche, legt
die Tasche um, ein paar gefaltete frische Windeln sind drin, einige Fläschchen,
Döschen, Päckchen und ein Plastikbehälter.
Maria beugt sich erneut über das Kind. Ihr
Oberkörper, ihre Arme. Sie wischt mit der Windel die Kacke weg und verwischt
sie damit noch mehr. Maria hat nun die Kacke im wesentlichen vom Unterleib des
Kindes abwischen können, nur ein dünner brauner Film auf der Haut ist
geblieben, sie zieht die Windel ein wenig nach vor und klappt sie so zu, das
ihr Inhalt nicht mehr zu sehen ist. Maria greift jetzt nach dem Behälter,
öffnet ihn, ohne das Kind ganz aus den Augen zu lassen dabei, nimmt Öltücher
heraus und putzt das Kind. Wie ihre Hände arbeiten. Hartnäckig ist der schon
trocknende braune Film auf der Haut; beinahe ein Dutzend Putztücher werden
benötigt und dann braunspurig in die gebrauchte Windel gelegt, bis der weiche
Kinderhintern, das Geschlecht und die obersten Stellen der Oberschenkelchen
sauber und ölig glänzen und sich das Licht von der Küchenlampe darin spiegelt.
Die Windel wird beiseitegezogen, mit der Linken macht das Maria, und ansatzlos
greift sie dann mit der Rechten auf den Tisch, holt sich aus dieser eine
frische Windel und ein Doserl. Da braucht sie offenbar kaum noch mitzudenken,
das alles tun einfach ihre Hände: geradeso, als wären sie dazu dressiert. Die
neue Windel wird entfaltet, das Kind an beiden Fesseln angepackt, hochgezogen,
so daß zwischen Hintern und Eckbanksitzfläche ein wenig Platz wird, die Windel
dabei hineingeschoben und schon liegt das Kind wieder drauf. Es lächelt nun ein
wenig unter dem Schnuller, ich glaub das Hochheben der Beine hat ihm Spaß
gemacht. Nun wird ein Döschen aufgemacht und der Arsch samt Umgebung werden mit
weißer Creme eingerieben; jetzt während dem Einschmieren erkennt man im
Kontrast zu dem Weiß der Salbe erst, wie rot die Haut von der Schärfe der
Exkremente und dem Putzen ist. Was für ein Geruch: zu Kacke und Pisse Öl und
Pflegecreme. Die neue Windel wird verschlossen – wie weiß die ist, ihre glatte,
knisternde Plastikhaut. Nagelneu liegt die Carina nun da, wie direkt von der
Werbung heruntergestiegen, die sich ohne jeden nur irgendwie möglichen Zweifel
auf der Schachtel befindet, aus der die Windel stammt. Das Kind scheint
zufrieden zu sein.
Die Mutter ergreift die gebrauchte Windel, ein
Blick zu mir … – er gilt meiner Bereitschaft, das Kind wieder vorm
Hinunterfallen zu bewahren, wie ich gleich verstehe. Maria trägt die
vollgekackte Windel weg.
Was für eine elementare Sache – da wird agiert,
geblickt, und alles klappt (wenn diese Kinderreinigung an einem Uniinstitut
oder im Parlament erledigt werden müßte, müßten zuerst zahllose Sitzungen über
das Wie, Warum, Ob-gerechtfertigt und über alle es infragestellenden
Implikationen abgehalten werden).
Das Kind grinst wieder hinter dem Schnuller. Mag
es mich? Ich hätte Lust, diese Frage zu stellen; was für ein Automatismus, daß
mir sowas einfällt.
Maria eilt geschäftig aus dem Raum, kommt aber
kurz darauf wieder. Händewaschen wird sie gewesen sein. Sie nimmt das Kind auf,
hält es im Arm. Sie wirkt zerstreut. Und es scheint ihr auch sofort noch was
einzufallen. Und sie sagt auch gleich, sie muß noch einmal hinaus. Ob ich das
Kind ein wenig halten würde? Vielleicht ist ihr in den Sinn gekommen, daß sie irgendwas
gleich erledigen könnte, wo ich gerade da bin. Ich sage Ja. Magst du zu dem
Mann? sagt Maria jetzt, sieht dem Kind ins Gesicht. Magst du zu Peter? Das Kind
schaut mich aufmerksam an, seine bernsteinfarbenen Augen; es kann das
anscheinend nicht entscheiden, scheint nicht wirklich was dagegen zu haben. Es
wird mir in den Arm gedrückt. Sein auf mich zukommendes Gesicht.
Sein Körpergewicht, seine weichen Beinchen, sein
Bäuchchen, wie sich sein Brustkorb beim Atmen ständig leicht dehnt und
zusammenzieht. Seine Ärmchen um meinem Hals; es hält sich an ihm fest wie an
einem Mast. Seine unglaublich weiche Wange berührt die meine. Es sabbert, ich
spür das Feuchte etwas rechts oberhalb meines Mundes. Es scheint irgendwie
hingebungsvoll zu sein, von dem Aneinanderkuscheln recht eingenommen; ich
verdreh meine Augen, um sein Gesichtchen zu sehen: sein Stupsnäschen, seine
weichen Lippen, es starrt unbestimmt vor sich hin, auf die Wand vielleicht oder
aufs offene Finster, oder sozusagen nirgendwohin. Willst du einen Stern sehen?
sag ich. Es reagiert nicht. Zum offenen Fenster geh ich nun mit dem Kind.
Siehst du die Sterne? sag ich. Auch dieser Satz hat bei mir vielleicht
Premiere, jedenfalls in der Betonung. Es löst sein Köpfchen von meinem
Gesicht, da wo seine Wange aufgelegen ist, fühlt es sich nun ein klein wenig
feucht an. Ich zeige mit dem gestreckten Zeigefinger, mit der Hand auf die
Sterne, als könnte man sie durch mein Zeigen erst erkennen oder als hätte ich
die Sterne gemacht. Versteht mich das Kind? Siehst du? sag ich wieder. Die
Beinchen des Kindes auf meinem linken Arm, mit der rechten Hand weise ich auf
einen fetten Stern am Himmelsrand: Das da ist der Südstern? Siehst du ihn? Das
Kind lehnt sich wieder an meine Wange.
Die Mutter ist plötzlich neben uns, ich hab sie
gar nicht kommen gehört. Hat es dir gefallen beim Peter? sagt sie. Sie nimmt
das Kind. Das Kind schaut mich an. Hat es ihm gefallen? denk ich – ich
würd es wirklich gern wissen.
Die beiden setzen sich zu Tisch, das Kind wieder
rittlings auf den Mutterknien, den Rücken zur Mutter, aufrechter nun. Ein
Plastikbilderbuch hats in seinen Händchen. Von wo sie das Ding plötzlich
herhaben, weiß ich nicht, ich habs bisher jedenfalls nirgends bemerkt. In so
einer Mutter-und-Kind-Welt geschieht einiges schneller, als man denken kann.
Das Kind beißt das Plastikbuch, ein Wasserball ist auf das Buch gemalt, ein
Entchen, ein Lastwagen, ein Haus, alles bunt und aus großflächigen Feldern
bestehend. Die geradezu unerhörte Zartheit der Lippen des Kindes. Das Lächeln der
Mutter, ihre verspannte Aufmerksamkeit. Mütter sind immer verspannt oder ganz
entspannt, wie gerade massiert – Mütter sind extreme Wesen. Ich lächle dem Kind
zu.
Dabei steh ich nun auf und geh, ich möcht wieder
zur Party hinauf, ein bißchen komm ich mir hier komisch vor: unpassend, fehl am
Platz. Auch das ist ja nicht so recht meine Sache. Die Küchentür ist offen.
Die Musik von der Party, die ich schon hör,
während ich noch auf der Stiege bin.