Reise mit anschließendem Telefonat oder Zwei Nachrufe

 

 

Ich ging in ein Reisebüro, um eine weite Reise zu buchen.

"Eine weite Reise bitte."

"Wir haben aber nur mit anschließendem Telefonat", sagte der Verkäufer.

"Gut, nehm ich halt die."

Ich zahlte und ging.

"Wollen Sie denn nicht wissen, mit wem?" rief er mir nach.

Aber ich war schon unterwegs zum Bahnhof.

Nach langer anstrengender Fahrt stieg ich aus dem Zug. Alles war schmutzig. Vor dem Bahnhof das totale Verkehrschaos.

Ein unfreundlicher Taxler brachte mich in mörderischem Tempo an die angegebene Adresse, die ich aus einem alten Roman herausgeschrieben hatte. Dort befand sich ein schmuddeliges Gasthaus mit einem gangartig langen Gastzimmer. Ich war der einzige Gast. Die Glastheke war verschmiert, dahinter stand ein dicker Wirt und grinste, als ob er einen Huscher hätte.

Er sagte nichts. Deshalb versuchte ich in der von mir vermuteten Landessprache etwas zu sagen. Das muß sich für jemanden, der diese Sprache beherrscht, recht lustig ausgenommen haben. Er antwortete mir in deutsch, und zwar in einem herrlich in sich verschachtelten Satz, der mir irgendwie bekannt vorkam, und ich vermutete, er hat ihn einem Aufsatz von Thomas Mann über Wagner entnommen.

"Kennen sie Wagner?" fragte ich.

"Sie meinen, Ihren Nachbarn in Zenstochau? Den Lebensmittelhändler, der für die Flasche Ottakringer elfzwanzig verlangt - ohne Einsatz - und der noch immer die Champignondosen verkauft, die er sich von den Hilfslieferungen des Marshall-Planes zusammengestohlen hat?".

"Machen Sie keine Witze", sagte ich, "Außerdem bin ich gar nicht aus Zenstochau".

Er grinste weiterhin so blöd. Das nahm mir irgendwie die Laune.

Ich sagte: "Die Stadt ist sehr dreckig. Auf den Straßen wird geschossen und Prügeleien habe ich auch überall gesehen. Was ist denn mit der Stadt und den Leuten hier los?"

Einen Augenblick sah er wie eine Wachspuppe aus.

"Wollen Sie etwas trinken?" fragte er grinsend. "Rotwein vielleicht", er wies auf eine Fünfliterflasche.

"Ich habe eine Frage gestellt", sagte ich.

Er schenkte ein Halbliterglas voll.

"Was kannst du schon gesehen haben?" sagte er in scharfem Tonfall, vom Einschenken zu mir aufschauend.

Als ich ihn ansah, zog sich sein fettes Gesicht zu einem ganz dürren zusammen, mit anklagenden Augen, die mich fixierten, und ging dann wieder in seine vorherige Form über.

Er schenkte nun auch sich einen Halbliterkrug voll.

"Prosit dann", sagte er und prostete mir zu. "Auf ihren Besuch in unserer schönen Stadt."

Plötzlich kam es mir vor, als wär ich beim "Weinkönig" am Klagenfurter Benediktinerplatz.

"Ich bemerkte gerade", bemerkte ich, "daß ich bemerkt habe ..."

"Was willst du schon bemerken?" hörte ich eine Mädchenstimme, wollte mich umdrehen, um zu sehen, woher die Stimme kam, da sah ich, daß anstelle des dicken Mannes ein blondes Mädchen vor mir stand und mich anlächelte.

Nervös wollte ich an meinem Glas nippen und spürte plötzlich, wie Flüssigkeit auf meine Schuhe platschte, sah hinunter und spürte schon die Nässe.

Es war Rotwein am Boden und ich hielt jetzt ein Achtel in der Hand. Als ich wieder aufschaute, stand der Mann grinsend hinter der Theke und reichte mir ein Tuch. Da fiel mir die Blondine ein und plötzlich klirrte es. Das Glas war mir aus der Hand gefallen und am Boden zersplittert.

"Regen Sie sich nicht auf", sagte der Mann, "Sind Sie nervös von der Reise? Wollen Sie sich ein wenig hinlegen?"

"Ja, das würde ich gerne", erwiderte ich verwirrt, "aber in dieser Spelunke. Wo soll ich mich da hinlegen? Vielleicht da?". Und ich deutete auf den riesigen Käfer, der unter der Theke hervorlugte.

"Was maßt du dir an?" rief er. "So hat noch niemand hier gesprochen! Ich bin der Herr dieses Palastes und meine Untertanen sind alle glückliche und friedliche Leute und sehr reinlich, weil sie sehr große Freude an Reinigungsarbeiten haben!"

Ich lugte noch einmal zu dem Käfer hinab. Dann schloß ich die Augen, weil ich glaubte, in einem riesigen glitzernden Palast zu sein, und vor mir stünde ein gütig lächelnder weißhaariger Mann, eine aus Gräsern kunstvoll geflochtene Krone auf dem Kopf.

Als ich die Augen wieder öffnete, waren überall fröhliche Leute, die diverse Nahrungsmittel tauschten, miteinander sprachen und lachten. Einige lagen am Boden, alleine oder in Gruppen, andere liefen und sprangen herum wie spielende Kinder. Einer stand und starrte zur Sonne.

Ein Mädchen sprach mich an: "Kann ich dir irgendwie helfen? Suchst du jemanden?"

"Was bist du von Beruf?" sagte ich.

"Von was?"

"Von Beruf?" wiederholte ich.

"Was ist das?"

Ich überlegte: "Was tust du den ganzen Tag über?"

"Das kommt darauf an."

"Worauf?"

"Also du stellst Fragen. So wie bei dir halt auch. Kannst du das sagen?", sagte sie.

"Worauf kommt es an?"

"Worauf ich gerade Lust habe."

"Und worauf hast du so Lust?"

"Worauf alle Lust haben: zum Baden, zum Essen, zum Wandern, zum Fischen, zum Vögeln, zum Singen..."

"Wer sind alle?"

"Na alle. Aaaaaahhh, ich verstehe. Du kommst aus einem anderen Land. Da war schon einmal einer hier, der Papst."

"Was, der Papst?"

"Ja, so hat er geheißen. Und wie heißt du?"

"Und du?"

"Ich heiß doch nicht. Soll ich Nichts heißen? Wie willst du denn, daß ich heiße?"

"Anna vielleicht."

"Gut. Das gefällt mir. Ich werde dich auch nennen. Du bist der Otto. Von dem hat der Papst öfters gesprochen. Der Papst ist nämlich aus einer Irrenanstalt ausgebrochen, mußt du wissen."

"Aber ich heiß doch wirklich Otto!" rief ich.

"Willst du denn anders heißen als wirklich?"

Ich stellte keine Fragen mehr.

Bald stieg ich wieder in den Zug. Die Reise war lang und beschwerlich.

Zu Hause rief ich den Papst an, da er als einziger außer mir jemals dort gewesen ist.

"Das ist das Land der Glücklichen", sagte er, "wo nichts feststeht. Daß Sie auch dort waren!?"

Ich erwähnte auch die Anna.

"Ja die Anna und ...", hörte ich ihn lachen, wie es sich für einen Papst nicht gehört; es klatschte auch, als ob er sich mit der flachen Hand auf die Oberschenkel schlagen würde.

"... und der Otto", prustete der Papst.

"Was, den kennen Sie auch!?"

"Na und ob!"

"Woher denn?" rief ich aufgeregt.

Doch da hatte der Heilige Vater schon aufgelegt.

Jetzt hatte ich aber genug. Ich sprang in meinen Porsche, fuhr zum Reisebüro und knallte dem Angestellten das Reisebillett auf den Pult.

"Hier haben Sie Ihre Reise mit anschließendem Telefonat zurück!" schrie ich.

"Was haben Sie daran auszusetzen? Haben Sie nicht telefoniert?"

"Geben Sie einmal her", sagte er und schaute das Billett an. "Hat er Ihnen nicht gesagt, wer sie sind?"

"Nein."

"Das werden wir gleich haben."

Er klemmte den Hörer ans Ohr und wählte.

"Den Papst bitte", sagte er.

"Wer war denn der Herr, mit dem Sie gerade früher telefoniert haben?"

"Otto", hörte ich den Papst sagen.

"Na bitte", sagte der Verkäufer. "Sind Sie jetzt zufrieden?"

"Na ja", murmelte ich, machte ein mürrisches Gesicht und ging. Zufrieden war ich nicht, aber was sollte ich jetzt noch reklamieren?

"Das Geld können wir Ihnen nicht rückerstatten! Die Reise ist ja schon benützt", hörte ich den Verkäufer mir nachrufen.